Ela Rüther — Food Photography Blog

— Wein & Gemüse

Wein & Gemüse – Das Interview

Ela fragt Sommelier Sebastian Bordthäuser und Weinhändler Martin Kössler, warum Wein und Gemüse noch nicht so richtig zueinander gefunden haben. Und was passiert, wenn man beide zusammen steckt. So entstand die Idee zu unserem Koch- und Weinbuch Wein & Gemüse.

Ela: Hallo Sebastian, guten Tag Martin. Ich freue mich sehr, dass wir an dieser Stelle endlich dafür sorgen, dass das Gemüse zum Wein kommt! Wahrscheinlich wird jetzt nicht jedem sofort klar sein, was daran neu oder gar revolutionär sein soll… Was ist so interessant an der Wein&Gemüse-Kombo?

Sebastian: Das Neudenken des Weins. Die herkömmliche Weinbegleitung orientiert sich meist am Hauptakteur eines Gerichtes, das heißt am Fisch oder am Fleisch. Dann schaut man auf die Zubereitungsart – ob gebraten, geschmort, gedünstet – dann auf die Sauce. Gemüse taucht selten auf, und wenn dann meist als Querulant, das heißt als etwas, was die Harmonie stört. Es ist doch schade, die Gemüse so in die Reihe der Claqueure zu stellen, statt ihnen den Raum zu geben, der ihnen gebührt. Denn die Möglichkeiten sind so unglaublich, das ich es gar nicht verstehen kann, warum das Thema so links liegen gelassen wird. Jedes Gemüse bringt ja eine eigene Grundbeschaffenheiten mit, die für den Wein relevant ist. Und warum sollen die Menschen, die sich für Gemüse entscheiden schlechter trinken als die Fleischfresser? Das ist doch widersinnig. Und für mich als Sommelier laaaangweilig. Daher würde ich gerne die Rückspultaste am Tapedeck des guten Geschmacks drücken und bei der Steckrübe einsteigen. Das ist das wahre Kunststück. Einen Bordeaux zu einem Entrecôte empfehlen kann jeder. Gemüse dagegen bietet unglaublich viel kreativen Spielraum.

Martin: Mich fasziniert ebenfalls die komplexe geschmackliche Wirkung von Gemüse, die von viel mehr Faktoren abhängig ist als zum Beispiel von der Maillard-Reaktion bei Fisch und Fleisch. Gemüse verändert seine Konsistenz und Struktur, seinen Geschmack und seine chemische und physikalische Wirkung im Mund abhängig von Anbau, Qualität, Garzeit und Garmethode. Es fordert von der Weinbegleitung viel mehr als nur passende Gerbstoffe, ähnliche Frucht oder korrespondierende Süße oder Säure. Die Zuordnung geschmacklicher Eigenschaften zu Gemüseart und Sorte, deren Garmethode und Garzeit, setzen profunde Kenntnisse der Gemüse und ihrer entsprechenden geschmacklichen Veränderung durch den Garprozess voraus. Gemüse verlangen deshalb in Sachen Wein ein Herangehen über dessen geschmackliche Wechselwirkung und Struktur. Der richtige Wein zu einer ganz bestimmten Gemüsepräparation ist die größte Herausforderung, die es in Sachen Essen/Trinken-Kombination zu bestehen gilt. Es verlangt einen ganz neuen Zugang, mit dem sich noch kaum jemand auseinander gesetzt hat. Daher könnte Wein & Gemüse revolutionär ausfallen.

Ela: Was fasziniert Euch an Gemüse als solchem?

Sebastian Bordthäuser: Wie gesagt, Gemüse eröffnet unglaubliche Möglichkeiten. Nimm einfach mal eine Erbse. Die gibt es als Kresse, als Schote, frisch gepult. Du kannst sie mit Butter servieren, und wenn Du etwas Frühlauch dazu gibst, hast Du direkt ein ganz anderes Gericht, mit zarter Würze. Dann kannst Du die Erbse pürieren, und das Püree mit was weiß ich was abschmecken. Dann kommt eine dritte Komponente dazu. Du hast dann was cremiges, etwas weiches, und etwas frisches mit Biss. Alles Erbse. Ein Steak ist Steak.

Martin Kössler: Nach Jahrzehnten, in denen das Gemüse ein trauriges Dasein als meist verkochte Beilage fristete, darf es seit ein paar Jahren endlich die Hauptsache auf dem Teller sein. Heute genießen gute Viktualien vom Feld die Wertschätzung der Genießenden. Regionale Qualität statt globale Massenware manifestiert sich vor allem im Gemüse. Gemüse ist extrem vielseitig, geschmacklich komplex und kulinarisch hochinteressant. – Dazu unten mehr. Und, das Gemüse hat die Gastronomie nachhaltig verändert. Als Gemüseküche ist es dabei, zur eigenen selbstbewussten Sparte zu werden.

Ela: Worin genau liegen die Unterschiede, ob ich einen Wein zu Fleisch, Fisch oder zu Gemüse trinke also?

Martin: Fisch und Fleisch können auf verschiedene Arten gegart werden. Die dabei auftretenden geschmacklichen Veränderungen sind struktureller Art und insofern überschaubar und einschätzbar. Ihre Chemie basiert im Wesentlichen auf Proteinen. Ihre Weinkombination orientiert sich an der Struktur des gegarten Fleisches oder Fisches, also an der Wirkung von Tanninen (Fleisch) oder Mundgefühl und Textur (Fisch). Beim Gemüse ist das anders. Seine Blätter, Früchte, Knollen, Stengel oder Wurzeln können roh, aber auch gekocht, gebraten, gedämpft, mariniert, vergoren oder dehydriert gegessen werden. Gemüse enthalten Vitamine, Mineralstoffe, Säuren und sekundäre Pflanzenstoffe, die geschmackswirksam sein können. Geschmacksgebend sind sie auf jeden Fall. Je nach Art, Sorte, Verarbeitung und Zubereitung bieten sie von ausgeprägter Süße bis zu adstringierender Bitterkeit ein breites Spektrum. Die sekundären Pflanzenstoffe können aromatisch komplex sein wie die Sulfide im Knoblauch. Die geschmacklich relevanten Komponenten können vielfältig und stark divergierend innerhalb eines Gerichtes wirken (Zitrusfrucht und Bitterkeit). Sie können ein Gericht aber auch eindeutig dominieren wie die Oxalsäure den Spinat oder das Lactucopikrin den Radicchio. Wein gekonnt auf Gemüse abzustimmen, verlangt profunde Kenntnis möglicher geschmacklicher Wechselwirkungen. Es setzt ein Weinverständnis voraus, das sich an chemischer Wirkung und am Mundgefühl, an Textur und Physis, an Machart und Chemie des Weines orientiert, statt an dessen Herkunft, Rebsorte oder Winzer.

Ela: Welche Erfahrungen habt Ihr in gehobenen Restaurants bezüglich der Weinbegleitung von Gemüsegerichten gemacht?

Martin: Eher enttäuschende, mit wenigen glorreichen Ausnahmen. Das Thema Wein zu Gemüseküche ist noch zu wenig durchdacht und in vielen unserer Restaurants auch noch gar nicht angekommen. Dazu findet dort vielfach zu wenig (oder gar keine) Detailabstimmung zwischen Gericht und Wein statt. Der Wein muss dort mehr intuitiv als konzeptionell den Speisen folgen. Das ist zu wenig. Ist aber sogar in Ottolenghis Restaurant Nopi so.

Sebastian: Eine Weinbegleitung zu Gemüsegerichten habe ich – außer bei Nils Henkel im Schlosshotel Lerbach – nie als Angebot gesehen. Ich als Sommelier fand die Herausforderung immer toll, wenn spontan ein Veggie-Menü im Restaurant bestellt wurde. Denn jedes Gemüse bringt ja, wie schon gesagt, eine eigene Grundbeschaffenheiten mit, die für den Wein relevant ist.

Ela: Der passende Wein zum Gemüse ist also auch bei großen Köchen kein Thema?

Sebastian: Nein, ich glaube eher nicht.

Martin: Ich denke auch, dass Wein zum Gemüse in der gehobenen Gastronomie bislang kein Thema ist. Dass ist besagten Köchen aber nicht anzukreiden. Ganz grundsätzlich verstehen die meisten Köche leider zu wenig vom Wein, um für ihn zu kochen. Wein zu Gemüse braucht ein anderes, neues Denken im Wein. Man muss antrainierte Konventionen verlassen, um Gemüse und Wein passend kombinieren zu können. So, wie die nordische Küche für ihre proteinhaltigen Gerichte ein neues Konzept in der Kombination mit Wein wagte. Dort setzte man auf spontan vergorene, säurebetonte Niedrig-pH-Weißweine mit ganz speziellem Mundgefühl, oft aus Maischegärung. Die nordische Küche schuf erst den Markt für solche Weine. Genauso braucht Wein zu Gemüse ein Mundgefühl, das der speziellen physikalischen und chemischen Geschmackswirkung unterschiedlichen Gemüsezubereitungen mit ihren sehr speziellen Süßen, Bitterkeiten und Konsistenzen gerecht wird. Diesbezüglich steht das Verständnis von Wein und Gemüse, samt Sommellerie und Handel noch ganz am Anfang.  

Ela: Das verwundert, denn die Gemüseküche ist schon seit einiger Zeit auf dem Vormarsch. Es gibt kaum mehr einen Koch ohne Garten. Ottolenghi kocht Gemüse für alle, Spitzenköche wie Nils Henkel und Rene Redzepi zaubern Gemüse für Gourmets. Wie lässt sich dieser Gemüse-Trend eigentlich erklären?

Sebastian: Muss man alles erklären und zum Trend aufbauschen? »Hoppla, die essen jetzt Gemüse. Craaaazy!« Voll normal, sage ich. Jeden Tag Fleisch essen und permanent grillen ist dagegen NICHT normal. Also höchst Zeit, sich mal vernünftig mit dem Gemüse auseinanderzusetzen. Da ist es ja nur die logische Konsequenz, dass Spitzenköche dies auch tun.

Martin: Man fragt sich, warum der Trend zum Gemüse nicht schon viel früher eingesetzt hat. Es bedurfte offensichtlich erst renommierter Fürsprecher, die es zu veredeln und zu »sozialisieren« wussten, damit es gesellschaftsfähig werden konnte. Viel zu lange hat die Gourmetküche Vegetarier belächelt und verflucht, wenn sie das Restaurant betraten, und dann höchst unengagiert bekocht. Schön, dass diese Zeiten vorbei sind. Wie sich die Wiederentdeckung des Gemüses erklären lässt? – Dafür fallen mir viele Gründe ein:

1. Durch die Globalisierung zu Beginn des neuen Jahrtausends, die zu einer unglaublichen Banalisierung, Uniformisierung und radikalen Ver-Industrialisierung unserer Nahrungsmittel geführt hat, entstand fast schon zwangsläufig ein neues Interesse an ursprünglichen und regionalen Nahrungsmitteln. Nie zuvor hat sich die Esserschaft so intensiv mit dem beschäftigt, was sie isst, wie heute. Gemüse werden sorgfältig angebaut und so phantasievoll und vielfältig zubereitet wie nie. Foodblogs in aller Welt beschäftigen sich genau damit. Urban gardening schafft neues Bewusstsein. Lokale Märkte finden neuen Zulauf und das Verhältnis des Käufers zum Produzenten verändert sich nachhaltig.

2. Gemüse ist einerseits preiswert und immer und überall zu haben. Andererseits ist sein Angebot unglaublich vielfältig. Es lässt uns in alten Sorten geschmacklich Vergangenheit wiederentdecken. In unbekannten Präparationen beschert es uns völlig neue Geschmackserlebnisse. – Und das ohne großen technischen Aufwand in der Küche. Jeder könnte fast überall sein eigenes Gemüse ziehen und zubereiten. Das wiederum ermöglicht eine völlig neue Beziehung zum Nahrungsmittel. Es erlaubt, die Anonymität der Nahrungsmittelherstellung zu umgehen. Man kann mit simplen Saison-Gemüsen vom Markt um die Ecke entdecken, dass Geschmack keine Würze braucht, sondern Produktqualität. Er braucht keine teuren Edelprodukte, sondern Güte und Frische.

Und 3. gilt Gemüse auch noch als gesund.

Ela: Denkt man über Gemüse und Wein nach, so ergeben sich viele Parallelen: Beides sind Pflanzen, die von Boden, Witterung, Sorte und Pflege durch den Bauern und Winzer abhängig sind. Ich finde, diese Parallelen machen das Thema noch spannender? Was meint Ihr?

Sebastian: Natürlich. Und wir kommen schnell zu dem Punkt, die Produktion nachvollziehen zu wollen. Ein industriell erzeugter Apfel sieht zwar toll aus, allerdings muss ich drei davon essen, um den Nährstoffgehalt zu bekommen, der in einem langsam, gesund und natürlich gewachsenem Apfel drin ist. Und wie ein Winzer, der beim Anbau eine Philosophie oder Arbeitsweise vertritt, so sollten es auch die Gemüseanbauer halten.

Martin: Das stimmt absolut. Fakt ist aber, dass die Weinbranche kaum mit dem Anbau verbunden ist. Sie berücksichtigt in der Beurteilung der Qualität den Anbau im Weinberg mangels entsprechender Kompetenz so gut wie nicht, überschätzt aber den Einfluss des Ausbaus im Keller, was dazu geführt hat, dass viele Winzer ihre Weine im Keller buchstäblich »machen«. Der Zusammenhang von Qualität im Anbau und Qualität im Geschmack ist bei Gemüse und Wein unmittelbar und ursächlich. Je höher der Ertrag, je mehr gedüngt wird, umso dünner und leerer werden Trauben und Gemüse im Geschmack. Wir werden hier immer wieder darauf eingehen, wie eng Gemüse und Wein in ihren qualitativen Kriterien verbunden sind, um dem Leser ein Gefühl für den Wert der Produkte zu geben. Geschmack kommt nicht von ungefähr. Er hängt ganz maßgeblich von der Qualität der Bodenbearbeitung ab, im Gemüse wie im Wein. Nur auf lebendigen Böden lassen sich hochqualitative Gemüse und Weine produzieren. Deshalb geht die Reise radikal und rasant in zwei Richtungen: In Masse, die banal schmeckt und Grundbedürfnisse befriedigt. Und in Klasse, die so hochwertig und ausgereizt wird, wie sie es lange nicht mehr war.

Ela: Was wird den Leser dieser Kolumne erwarten? Wird er die Kombination Wein & Gemüse besser verstehen?

Martin: Die Zeit ist reif, den Kunden und Weintrinker in die Selbständigkeit des eigenen Weinerlebens zu entlassen. Wein und Gemüse ist Herausforderung, aber auch pures Wein- und Geschmacksvergnügen. Ausprobieren und Geschmack erleben. Natürlich nützt es, wenn man weiß, wie eine authentische Nebbiolo geschmacklich wirkt. Dass ein Weißwein, der mittels Reinzuchthefe vergoren wurde am Gaumen bitter schmeckt und im Duft fruchtig daherkommt. Oder dass man weiß, dass ein Wein, der spontan auf wilden Hefen vergoren wurde deshalb weich am Gaumen wirkt und statt Frucht im Aroma Würze verbreitet. Das ist technisches Wissen, das hilft und das man sich mit der Zeit aneignen kann. Weingenuss ist ganz maßgeblich Erfahrung. Die Kombination mit Essen, speziell mit Gemüse, macht Weingenuss sinnlich erfahrbar. Man erlebt Geschmack, statt ihn nach Rebsorten oder Regionen abstrakt zu lernen. Wenn man dazu gut beraten wird und erfährt, warum der Wein so schmeckt wie er schmeckt, lernt man, ihn zu erleben und einzuschätzen. Und schon eröffnet sich einem die faszinierende Welt des Weines auf ganz praktische Art und Weise. Wir werden hier versuchen, grundlegende geschmackliche Schemata zu entwickeln, mit denen man sich dem Wein und seinem Gemüse nähern kann.

Sebastian: Also, ich denke nicht dass wir das Rad neu erfinden werden. Wie gesagt, es geht um die Herangehensweise, die Gemüseküche nicht als Einschränkung, sondern als neue, oder andere Aufgabe zu betrachten. Vielleicht kann man es mit einer lange liegen gebliebenen Hausaufgabe vergleichen, die man endlich erledigt, bevor es in die Sommerferien geht. Und wenn sich dem ein oder anderen etwas neu erschließt, na hervorragend.

Ela: Vielen lieben Dank!